Stralsund ist ja für seine historische, gut restaurierte Altstadt bekannt und beliebt. Jüngst machte die Stadt Schlagzeilen im Zusammenhang mit dem Russland-Krieg in der Ukraine.
Der Bürgermeister und das kommunale Parlament (durch alle Fraktionen), die sogenannte Bürgerschaft, starteten eine eigene Initiative zur Herstellung des Friedens in der Ukraine und boten den Kriegsparteien das Rathaus als Verhandlungsort für Friedensverhandlungen an. Es wurde auch ein Beschluss gefasst (20. Oktober), der den Bürgermeister ermächtigte, dieses Angebot an die Regierung in Berlin zu übermitteln. Die Initiatoren beriefen sich auf den „Stralsunder Frieden von 1370“, der in die Geschichte als Diktatfrieden einging (Konflikt Dänemark mit der Hanse). Im selben Zusammenhang forderten sie bei mehreren Demos auf dem Alten Markt die Wiederaufnahme von Gaslieferungen aus Russland, Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und die Demission der Regierung in Berlin.
Also, hohen politischen Besuch hatte Stralsund schon mehrfach, aber die Weltpolitik als Angelegenheit der Stralsunder Abgeordneten inklusive des Bürgermeisters überfordert den Horizont der Initiatoren. Denn es zeigen sich gleich mehrere „Haacken“: Zum einen ist nach geltenden Kommunalgesetzen die Abgeordnetenversammlung einer Provinzstadt nicht zuständig für die Außenpolitik (Innenministerium MV hat den Beschluss inzwischen für rechtswidrig erklärt). Zum anderen ist die Anbiederung an den russischen Aggressor geschichtsvergessen und dem Geiste nach egoistisch und anmaßend, um es noch milde auszudrücken. Das Lob aus der russischen Botschaft in Berlin folgte prompt.
Ach ja, da ist ja noch das Ehrenmal der Roten Armee auf dem Neuen Markt. Anstatt es im Zusammenhang mit der anstehenden Restaurierung des ganzen Platzes vor dem Hintergrund der russischen Aggression wegzunehmen, wird es restauriert und bleibt am Platz! Und die Krone des Ganzen: Der Bürgermeister missbraucht sein Amt für politische Propaganda! Ein Bürgermeister auf Abwegen. Die gesetzte Flagge im Rathausdurchgang „Mayor for Peace“ passt eigentlich nicht in diesen Kontext. Es geht hierbei um die Nichtverbreitung von Atomwaffen (1982 gegründet). Im aktuellen Zusammenhang zur Ukraine vermisse ich eher die Bekenntnisse zur Freiheit und dem Recht auf Selbstverteidigung!
Wenn’s nicht so traurig wäre, man müsste lachen! Dabei gäbe es tatsächlich für die Abgeordneten und den Bürgermeister genug in der Kommune zu tun (zu beschließen). Die Altstadt wartet seit Jahren auf ein bürgerfreundliches Verkehrskonzept! Leider Fehlanzeige! Landanschluss für anliegende Schiffe im Hafen? No -vergessen die Nachhaltigkeit! Und weiter: Die verfallenden und unter Denkmalschutz stehenden alten Lokschuppen! Ein Kümmernis für jeden Stralsunder.
Es gibt aber weitere Kuriositäten aus der kommunalen Selbstverwaltung. 2017 versuchte man in Stralsund eine Kurtaxe einzuführen. Ja, hallo, leben wir in Bad(row) Stralsund, einem Erholungsgebiet? Ringsherum gibt es sie zur Genüge, gewiss – aber die simple Stadt? Da kann ja jeder Bürgermeister derartiges fordern! Und man wollte nicht nur die übernachtenden Besucher abkassieren, sondern auch die Tagesgäste! Erst als man Praktiker befragte, wie dies denn umzusetzen sei, auch wenn nicht alle Stadtgebiete den Erfordernissen genügen, wurde die Planung gekippt! Tja, man fragt sich, was in deren Köpfe so vorgeht?
Ein Bürger aus Stralsund, 17.11.2022