Nur ein Straßenname?

Ich gehöre zu den Stralsundern, die noch den Straßennamen „Strandstraße“ kennen. Sie führt von der Brunnenaue hinunter zum Sund – heute „Gerhart-Hauptmann-Straße“.

In den langen Monaten des Lockdowns wegen des COVID-19 habe ich so manche Lektüre konsumiert. Darunter war in den letzten Tagen auch das Buch: „Deutsche Geschichte 1866 – 1945“ von Gordon A. Craig. Im Kapitel „Die Intellektuellen und der Nationalsozialismus“ habe ich mit großer Aufmerksamkeit die Einlassungen des Autors zu den exponierten Intellektuellen des sogenannten Dritten Reiches gelesen. Unter anderen zu Gerhart Hauptmann. Ich kenne Gerhart Hauptmann und seine Werke wenig, aber eben den Straßennamen in Stralsund und das Gerhart-Hauptmann-Haus in Kloster auf Hiddensee. Natürlich kenne ich in Grundzügen seine Aufenthaltsorte und ich weiß, er ist ein sehr erfolgreicher und geachteter Dramatiker gewesen, der mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde.

Craig beleuchtet in seinen Ausführungen aber die Person und seine gesellschaftliche Stellung und Haltung zum Nationalsozialismus. Ich war ziemlich entsetzt, was ich las. Er war einer der „wärmsten Bewunderer Hitlers“, als dieser seine politische Macht gefestigt hatte. Am Vorabend zur Wahl 1933 hatte Hauptmann geäußert: „Ich sage ja zum Nationalsozialismus“. Hitler selbst bezeichnete er als“. . . human, national und europäisch universell . . .“.

Mag das Naivität sein, vielleicht Opportunismus, aber auf jeden Fall menschliches Totalversagen einer solchen intellektuellen Größe, die mit beachtlichem Einfluss aufwarten konnte. Prominente diesen Ausmaßes müssen wissen, wie es andere ja auch bewiesen haben, welche Verantwortung sie für die Gesellschaft zu tragen haben. Das darf wohl erwartet und eingefordert werden können. Im Gegenzug aber auch zur Verurteilung führen. So der Kontext im Buch.

Mit diesem Blickwinkel schaue ich auf meine eigene Vergangenheit, hauptsächlich die Zeit in der DDR. Mitläufertum und Kadavergehorsam sind mir oft begegnet. Wegschauen, wegducken, Nichts-wissen-wollen waren an der Tagesordnung – in allen Schichten der Bevölkerung. Und auf der anderen Seite dem System zujubeln, mitmachen. Man hatte also nichts gelernt, vielleicht auch nicht lernen wollen! Und jetzt?

Die Hauptmann-Verehrung in der DDR mag erklärlich sein, weil Hauptmann auch in der Sowjetunion sehr bekannt war und geachtet wurde. Aber im Wissen um Werk, Person und Wirkung Hauptmanns zu seiner Zeit, empfinde ich den Straßennamen in Stralsund als Belastung. Der ursprüngliche Name ist nicht nur unbelastet sondern auch einleuchtender.

Ingo Küster, Juni 2021