Zur Fähre

Wer Stralsund mit dem Schiff erreicht oder von der Hafeninsel kommend in die Altstadt will, geht auf dem kürzesten Weg die Fährstraße hinauf. Am Anfang der Fährstraße rechterhand steht ein ziemlich altes Gebäude, das viel früher direkt an das Fährtor grenzte. Nun, das Fährtor gibt es nicht mehr – aber die Hafenkneipe „Zur Fähre“! Die Kneipe hat dementsprechend eine lange Geschichte. Gegenwärtig betreibt Hanni Höpner diese Wirtschaft, die sich zu einem Unikat der Hansestadt entwickelt hat. Wer Stralsund besucht, sollte dort einkehren. Stralsunder Stammgäste und Touristen bilden ein interessantes Publikum. Der Service ist einladend, der Durst wird gelöscht. Die Hauptsache ist aber das Klönen auf engstem Raum an geschichtsträchtigem wie authentischem Ort!

Hafenkneipe „Zur Fähre“

Hannis Hausgeschichten

Der Tatsache geschuldet, dass dieses Haus seit 1332 in den Stralsunder Annalen vermerkt ist und damit eine sehr lange Geschichte an bedeutendem Ort zu verzeichnen hat, präsentiert Hanni Höpner neuerdings eine eigene kleine Show der „Hausgeschichten“! Wir waren bei der Premiere dabei und waren begeistert. Hier einige Bilder:

Die Show besteht aus drei Abschnitten, Lesung aus einer alten Chronik, Vorstellung früherer Besitzer und Betreiber der Kneipe sowie die eigene Kneipengeschichte von Hanni Höpner mit bemerkenswerten Episoden.

Am Anfang der Show erhalten die Gäste von Hanni ein besonderes Getränk, mit dem die Zeit aus dem Stralsunder Mittelalter in den Gastraum einkehrt. Ein jeder wird so in die passende Stimmung versetzt und lauscht Hannis Ausführungen. So manche Lebensweisheiten und traditionellen Gebräuche kommen dabei zum Vorschein!

Kleiner Ausschnitt aus der Show

Hanni und all ihre Vorgänger

Sprung auf die Insel

Nicht nur der Name, auch die Lage von Hannis Kneipe unmittelbar am Fähranleger hat einen Bezug zu den der Küste des Festlandes vorgelagerten Inseln. Rügen besaß nach 1936 eine Brückenverbindung, aber die Insel Hiddensee nicht. Deshalb gibt es noch heute eine regelmäßige Schiffsverbindung vom Stralsunder Hafen zur Insel Hiddensee. In früheren Zeiten als Hiddensee für Sommergäste erreichbar und attraktiv wurde, mussten diese per Schiff übersetzen, und zwar von der Stralsunder Pier. Die Dampfer, wie die Stralsunder heute noch zu den modernen Schiffen der „Weißen Flotte“ sagen, bedienen die Fährverbindung zur Insel mehrmals am Tag. Gäste, die zu früh am Hafen waren, mussten warten, bis wieder eine Abfahrt angezeigt war. Nicht wenige von ihnen, die auch nicht aus Stralsund waren, sondern aus dem fernen Berlin anreisten, verbrachten die Wartezeit in der Kneipe „Zur Fähre“. Wie überliefert, waren darunter viele prominente Mitbürger, die Erholung auf der Insel suchten. Darunter auch Joachim Ringelnatz, der in seinen literarischen Werken der Insel so manch schönes Wort widmete. Am 7. August ist Ringelnatz als Hans Gustav Bötticher in Wurzen geboren. Diesen Geburtstag wollte Hanni Höpner in diesem Jahr 2019 mit Freunden und Gästen auf Hiddensee begehen. Sie veranstaltete einen kleinen Ausflug nach Vitte, von dem uns eine Beschreibung vorliegt:

Zu Ringelnatz nach Hiddensee
 
Als die kleine Gruppe am Vormittag des 7. August mit dem Motorboot nach Vitte auf Hiddensee aufbricht, weiß keiner der acht Leute, was ihn an diesem Tag erwartet. Nur zwei Dinge sind klar: Es ist der Geburtstag des Dichters Joachim Ringelnatz und zu einer Veranstaltung anlässlich dieses Tages hat die Wirtin der Stralsunder Hafenkneipe „Zur Fähre“ Hanni Höpner eingeladen. Ringelnatz (1883-1934) hatte sich bekanntlich einige Sommer lang gerne auf Hiddensee aufgehalten. Hier lernte er auch die dänische Stummfilmschauspielerin Asta Nielsen kennen. Unter seiner Lyrik findet man das Gedicht „Hafenkneipe“ und es gibt auch ein gleichnamiges Gemälde des Künstlers. In Vitte angekommen, wird schnell ein Zusammenhang klar. Hanni Höpner hat ihr „Fährmobil“, das sich mittels großer bedruckter Planen zu einer Kneipe umfunktionieren lässt, neben dem „Homunkulus“, Figurensammlung und Kleintheater des Puppenspielers und künstlerischen Leiters Karl Huck aufgestellt. Huck würde mit seiner lebensgroßen Puppenfigur des Joachim Ringelnatz etwas aufführen und die gerade angelandete Gruppe – alles Frauen und Männer mit guten Kontakten Zur Fähre“ – sitzen vor der „Outdoorkneipe“, trinken Bier und /oder die Hausmarke „Fährwasser“ und kommen mit den interessiert heranströmenden Gästen der Insel ins Gespräch. Ringelnatz, der zu geistigen Getränken ein durchaus aufgeschlossenes Verhältnis hatte, hätte hier seine Freude gehabt.

Gegen 16 Uhr beginnt dann der ersehnte Höhepunkt des Geburtstags. Nach einem Monolog, den der Dichter in Gestalt seiner Puppe hält, geht Karl Huck zu einer Versteigerung von Gegenständen über, die natürlich alle einmal Ringelnatz gehörten. Der Erlös solle der Reparatur der Hose des Dichters dienen. Huck wird von seiner kleinen Tochter Hanni assistiert. Die Auswahl und Präsentation der Auktionsstücke ist so humorvoll wie viele Gedichte des Autors. Als erstes gehen die Bonbons aus Russland (80 Jahre alt) für 10 Euro weg. Es folgen eine Zigarre, Original-Gesichtscreme, das Modellschiff „Queen Elizabeth“ und handgestrickte Ringelnatzsocken. Zum Rasierwasser „Lucky Tiger“ bemerkt Huck: „Ich hab´ mal gekostet, es ist nicht schlecht.“ Weiter geht es mit einem Goldrand-Schnapsglas, in dem eine unbezahlte Rechnung steckt – seltsamerweise aus der „Fähre“. Interessant auch noch der Kompass, der den rechten Weg ins Leben zeigt, das Navigationsbesteck (auch zum Essen beim Asiaten geeignet, weil abwaschbar) und das angeblich meditativ wirkende Glöckchen, mit dem Ringelnatz schon Asta Nielsen geweckt haben soll. Das Publikum hat seinen Spaß und zeigt sich bietefreudig bis hin zum Duell zwischen zwei Interessenten. Als Letztes wird noch eine Original-Asta-Nielsen-Socke angeboten. Größe? „24 Küsse von der Spitze bis zur Ferse“, lautet die Antwort von Karl Huck. Der Erlös aus der Versteigerung reicht für eine neue Hose.


Zum Abschluss spielt Andreas Morgenstern auf dem Schifferklavier noch Ringelnatz´ Lieblingslied „La Paloma“. Dazu wird auf einer Leinwand ein Bild des Dichters gezeigt, das in eine Filmaufnahme übergeht, in der Ringelnatz sein Gedicht „Im Park“ vorträgt.

Bis zur Rückfahrt des Motorboots ist noch viel Zeit. Die vertreiben sich die Gäste vor „Fährmobil“ und „Homunkulus“ mit angeregten Gesprächen bei Kaffee und Kuchen, und irgendwie hat man den Eindruck, als habe man über Ringelnatz Dinge erfahren, die in keinem Literaturlexikon zu finden sind.

Steffen Melle, August 2019

Nachfolgende Fotos von Steffen Melle und Claude Lebus illustrieren das beschriebene Ereignis!